‚Grünes Wirtschaftswachstum oder System Change? Wie begegnen wir der Klimakrise?‘

2020/02/06 von

Knapp 300 Zuhörer*innen besuchten die Podiumsdiskussion „Grünes Wirtschaftswachstum oder System Change?“. Ein Bericht über konstruktiven Austausch gegensätzlicher Positionen.

Am 28. Januar 2020 wurde in der TU Darmstadt über die Frage „Grünes Wirtschaftswachstum oder System Change?“ diskutiert. Die Veranstaltung fand im Rahmen des politikwissenschaftlichen Seminars „Klimapolitik“ in Zusammenarbeit mit Fridays for Future und Scientist for Future statt und wurde von Heike Böhler, Dorothea Schoppek sowie einem studentischen Organisationsteam organisiert. Knapp 300 Zuhörer*innen verfolgten dabei ein spannendes Streitgespräch zwischen

•Helen Sharp (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung)

•Professor Dr. Ulrich Brand (Uni Wien)

•Professor Dr. Markus Lederer (TU Darmstadt).

Nach der Begrüßung durch Heike Böhler und Dorothea Schoppek stellten die drei Referent*innen sich und ihre Positionen vor. Markus Lederer erklärte, wieso seiner Meinung nach eine Lösung der aktuellen Klimakrise realistischer mit Hilfe des Kapitalismus möglich sei; dessen produktive Dynamik dürfe man nicht untergraben, auch wenn Wirtschaftswachstum kein Selbstzweck mehr sein sollte. Neben Wohlstand sichere der Kapitalismus liberale Freiheiten. Anschließend präsentierte Ulrich Brand seine Analyse der „imperialen Lebensweise“, deren zerstörerischen Kräfte nur mit einer Überwindung des Kapitalismus begegnet werden könne. Reformen innerhalb des bestehenden Systems greifen langfristig zu kurz; Unternehmen würden aufgrund ihrer notwendigen Orientierung am Profit häufig Greenwashing betreiben. Der Staat sei zu schwach und durch die ökonomischen Interessen einflussreicher Wirtschaftsakteure geprägt. Helen Sharp wählte einen anderen Ansatz: Um überhaupt etwas bewegen zu können, brauche man zunächst zivilgesellschaftliche Akteure, die Allianzen bilden und gemeinsam mit dem Staat Klimaschutz vorantreiben. Dafür benötige es ein gesellschaftliches Aushandeln der Klimafrage, sodass eine sozial-ökologische Transformation möglich werde.

Nach diesen kurzen Analysen folgte die moderierte Podiumsdiskussion, in der die Meinungsverschiedenheiten der Referent*innen in vielen Punkten deutlich wurde. Lederer stellte eingangs klar, dass ihm durchaus bewusst sei, dass man an den ökonomischen Stellschrauben drehen müsse, um reines Greenwashing zu verhindern. Eine Neuorientierung sei allerdings auch mit kapitalistischen Mitteln möglich, eine Bepreisung schädlicher Emissionen etwa könne grünes Wirtschaftswachstum befördern. Dem entgegnete Brand, dass jede Veränderung des Kapitalismus neue Kosten externalisiere und dadurch erneut Mensch oder Natur ausbeute. Sharp wies darauf hin, dass man soziale Bewegungen als wichtigsten Akteur und die Bildung von Allianzen stärker in den Blick nehmen müsse. Gerade neu aufkommende Bündnisse beispielsweise zwischen Wohlfahrtsverbänden und Umweltgruppen hätten großes Potential, breite Gesellschaftsschichten an einer Transformation zu beteiligen. Brand allerdings ging das nicht weit genug; Veränderungen ließe sich oft nur durch Konflikt herbeiführen. Deswegen brauche man einen effizienten Staat, der wie etwa in den 1990ern im Rahmen der Förderung erneuerbarer Energien in Deutschland lokal und mit demokratischer Transparenz Klimaschutz aktiv vorantreibt. Nach der spannenden Diskussion stellten sich die Referent*innen den Fragen des Publikums. Dabei wurde ein breites Themenspektrum abgedeckt. Wie lasse sich der Klimawandel bei drohendem massivem Zuwachs der Weltbevölkerung überhaupt in gerechter Weise für alle lösen? Wie viel Zeit bleibe noch, um die Wirtschaft zu transformieren und wie solle man der aufkommenden Frustration nach jahrelangem Protest ob der ausbleibenden Ergebnisse begegnen? Biete das politische System der westlichen Demokratien überhaupt die Möglichkeit für langfristige Strategien? Wie schränke die imperiale Lebensweise die Chancen für Entwicklungsländer ein? Vor allem ragte hier Brands flammendes Plädoyer gegen die „Raserei des Kapitalismus“ heraus; man müsse globalen Wohlstand außerhalb von Konzernen denken lernen. Nachdem diese Fragen und noch viele weitere beantwortet wurden, gaben die Referent*innen anhand von zwei Leitfragen ihre Abschlussstatements ab: Was sind konkrete Schritte, die jeder einzelne für den Klimaschutz unternehmen kann, und welche zukünftige Wirtschaftsordnung prognostizieren sie? Alle drei ermunterten die Zuhörer*innen, aktiv zu bleiben. Während Lederer und Sharp die Möglichkeit eines Wandels durch gesellschaftlichen Druck für möglich halten, sieht Brand aufgrund aktueller Entwicklung eher die Gefahr eines grünen Kapitalismus ohne klimaschützende Wirkung und auf Kosten des globalen Südens. Antwort könne nur sein, in allen Lebensbereichen und Institutionen dagegen (auch symbolträchtigen) Widerstand zu leisten.

Bericht: Christian Wallerer

Für Interessierte gibt es hier die Impulsvorträge von Prof. Lederer und Prof. Brand zum Nachhören: Video

Veranstaltungsplakat (wird in neuem Tab geöffnet)