Warum wir die Digitalisierung (wieder) politisieren müssen, um Nachhaltigkeit zu fördern – und wie das gelingen kann

Neuer Artikel erschienen in Sustainability: Science, Practice and Policy.

25.07.2025 von

Die Digitalisierung gilt vielerorts als Hoffnungsträger für mehr Nachhaltigkeit – sei es durch effizientere Energiesysteme, ressourcenschonende Prozesse, eine bessere Biodiversitätsüberwachung oder Klimaanpassung. Die Versprechen sind groß. Doch die Realität ist komplexer: Die Wechselwirkungen zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind kontextabhängig, umkämpft – und in vielen Fällen problematisch.

In unserem neuen Artikel „Sustainability powered by digitalization? (Re-)politicizing the debate“ hinterfragen wir kritisch die Rolle der Digitalisierung für nachhaltige Entwicklung. Die Publikation ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Florian Steig, Pascal König, Jens Marquardt, Angela Oels, Jörg Radtke, Rainer Rehak und Sabine Weiland.

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Digitalisierung, Nachhaltigkeit – und die Machtfrage

Wir argumentieren: Die Beziehung zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit ist keine rein technische, sondern ein umkämpftes Feld politischer Auseinandersetzung. Digitale Technologien können zwar nachhaltige Prozesse unterstützen – gleichzeitig besteht aber die Gefahr, dass bestehende Ungleichheiten zementiert, nicht-nachhaltige Strukturen verfestigt und demokratische Handlungsspielräume eingeschränkt werden. Deshalb plädieren wir für eine (Re-)Politisierung der Digitalisierung: Es gilt zu hinterfragen, wer profitiert, wer entscheidet, welche Zukunftsvisionen in digitalen Infrastrukturen verankert sind – und welche Alternativen verdrängt werden.

Zur Analyse haben wir einen konzeptionellen Rahmen entwickelt, das Machtverhältnisse an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung in drei miteinander verbundenen Dimensionen sichtbar macht:

  • Wissen und Diskurs: Digitale Technologien prägen unsere Sicht auf Umwelt und Nachhaltigkeit – etwa durch Datenmodelle, Dashboards oder digitale Zwillinge. Diese Darstellungen können dominante Weltbilder verstärken, alternative Wissenssysteme marginalisieren und technokratische Steuerungsansätze fördern. Mehr Daten bedeuten nicht automatisch bessere Entscheidungen.
  • Governance und Akteurskonstellationen: Digitalisierung wird maßgeblich von mächtigen Allianzen aus Technologieunternehmen, staatlichen Akteuren und Beratungsfirmen vorangetrieben – häufig mit einem engen Fokus auf Effizienz. Das entpolitisiert Nachhaltigkeitsdebatten, indem sie auf technische Optimierungsfragen reduziert und transformative Ansätze an den Rand gedrängt werden.
  • Technologische Materialität: Digitale Infrastrukturen sind nicht neutral. Ihre Gestaltung, Anwendung und physischen Auswirkungen erzeugen Pfadabhängigkeiten und Lock-in-Effekte. Sie basieren auf extraktiven Lieferketten, energieintensiven Cloud-Systemen und reproduzieren nicht selten koloniale Muster der Kontrolle und Ressourcennutzung – auch wenn sie nach außen als sauber und immateriell erscheinen.

In allen drei Dimensionen zeigt sich: Das Nachhaltigkeitspotenzial der Digitalisierung wird maßgeblich durch tief verankerte Machtstrukturen geprägt – die bislang zu selten hinterfragt werden.

Digitalisierung zu politisieren bedeutet, normative und politische Fragen wieder ins Zentrum zu rücken: Welche Zukünfte von Nachhaltigkeit wollen wir? Wessen Wissen zählt? Wer gestaltet die Systeme, auf die wir angewiesen sind? Wo können und sollten digitale Technologien helfen – und wo nicht?

Unser Fazit: Nachhaltige Transformationen erfordern nicht nur neue Technologien, sondern vor allem demokratische Aushandlungsprozesse über Ziele, Werte und Zielkonflikte. Digitalisierung kann dies unterstützen – aber nur, wenn sie kritisch reflektiert und demokratisch gestaltet wird.

Hintergrund zum Special Issue

Der Artikel ist Teil eines Special Issues in Sustainability: Science, Practice and Policy, das kritische Perspektiven auf die Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit versammelt.

Bisher erschienene Beiträge umfassen unter anderem:

Das Special Issue baut auf der interdisziplinären Konferenz „Digitalization for Sustainability Transformations: Critical Perspectives, Lessons Learned, and Future Perspectives“ auf, die im September 2023 an der Universität Augsburg stattfand. Organisiert wurde die Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Weizenbaum-Institut, der GIZ sowie der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW).