Besprechung des Artikels „Die EU in der Polykrise: Folgen für das Mehrebenen-Regieren“ im Deutschlandfunk

Paul Vorreiter bespricht für den Deutschlandfunk den Band „Die neue Europäische Union“

22.12.2020 von

Paul Vorreiter bespricht für den Deutschlandfunk den Band „Die neue Europäische Union“ von Andreas Grimmel

Hier der direkte Link zur Besprechung, in der unser Artikel „Die EU in der Polykrise: Folgen für das Mehrebenen-Regieren“ von

Michèle Knodt (TU Darmstadt), Martin Große Hüttmann (Universität Tübingen), Alexander Kobusch (Universität Tübingen) hervorgehoben wird.

https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2020/12/14/andreas_grimmel_die_neue_europaeische_union_dlf_20201214_1935_ce52a65e.mp3

Abstract

Trotz seiner Popularität in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatte ist der Begriff der „Krise“ in der Politikwissenschaft nur unzureichend analytisch konzeptualisiert worden. Wir wollen ein Angebot zur genaueren analytischen Fassung des Begriffs machen und fragen, welche Auswirkungen die Krisenphänomene auf das Regieren in der europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik und in der Energiepolitik haben: können in diesen Politikfeldern neue Arten des Regierens beobachten?

In unserer analytischen Modellierung gefährdet eine Krise das Überleben des politischen Systems, indem die Funktion und/oder Legitimation des Systems nicht mehr gewährleistet werden. Dabei ist entscheidend, dass die Akteure eine Situation überhaupt erst als Krise wahrnehmen und entsprechende Handlungsalternativen in Erwägung ziehen. Den Handlungsalternativen kommt das Potential zu, das politische System langfristig zu verändern.

Sowohl die Währungs- und Wirtschaftskrise als auch die Energie- und Klimakrise erfüllen unseres Erachtens diese Kriterien. In beiden Feldern beschränken sich die die Kompetenzen der Europäischen Union (bisher) auf „weiche“ Steuerungsformen. Wir können eine zunehmende „Härtung“ dieser Steuerungsformen beobachten, indem die Verbindlichkeit gemeinsamer Politiken durch verschiedene Mechanismen erhöht wird. Damit bewegen sich die Steuerungsformen innerhalb eines Kontinuums zwischen intergouvernementaler und supranationaler Politikgestaltung zwar stärker in Richtung einer Vergemeinschaftung, allerdings sind die Systemveränderungen deutlich weniger ausgeprägt, als wir dies angesichts des Ausmaßes der Krisen erwarten würden.

Wir interpretieren dies zwar als kleine Schritte der Integration, erklären den allerdings geringen Umfang mit den geringen Kompetenzen der EU in diesen Politikfeldern und einer generellen Schwierigkeit der Mitgliedstaaten, tiefergehende Integrationsschritte gesellschaftlich zu legitimieren. Dennoch deuten wir dies nicht als Desintegration, weil zwar zwischenstaatliche Interessenkonflikte in diesen Krisensituationen deutlicher zu erkennen sind, wir aber dennoch – wenn auch kleine – Schritte Richtung supranationaler Integration sehen.